Definition
Das Baunscheidtieren (Baunscheidtverfahren) zählt zu den ausleitenden naturheilkundlichen Verfahren. Dabei verletzt der Heilpraktiker die Haut an der betroffenen Stelle mit Nadeln und trägt anschliessend eine hautreizende Ölmischung auf. Das seinerzeit sehr weit verbreitete Verfahren wird heute nur noch selten eingesetzt.
Herkunft
Das Baunscheidtverfahren wurde um 1840 von dem Erfinder und Gewerbelehrer Karl Baunscheidt (1809 bis 1872) entwickelt. Er entdeckte, dass die Schmerzen in seiner rheumageplagten Hand nach einem Mückenstich verschwanden. Und schloss aus dieser Beobachtung, dass gezielte Hautreizungen nahe der schmerzenden Körperregion den Heilungsprozess fördern können. Baunscheidt führte Selbstversuche mit einem Nadelungsgerät durch und rieb anschliessend ein hautreizendes Öl in die Wunde. Heute verwendet man statt des damals gebräuchlichen krebserregenden Crotonöl Wacholder- oder Nelkenöl. Neben der Nadelwalze entwickelte Baunscheidt noch den sogenannten Lebenswecker.
Grundlagen
Das Baunscheidtverfahren hat einen ausleitenden Effekt und wird den Reiztherapien zugeordnet. Die flächige Behandlung bestimmter Körperregionen mit einer rundum mit feinen Edelstahlnadeln besetzten Walze führt zu Mikroverletzungen der oberen Hautschichten. Die Walze dringt beim Abrollen auf der zuvor desinfizierten Haut je nach Druckstärke ein bis zwei Millimeter ein und löst den Austritt von Lymphflüssigkeit aus. Gleichzeitig wird die lokale Durchblutung verbessert. Die bewusst herbeigeführte Verletzung löst eine örtlich begrenzte unspezifische Immunreaktion aus. Das dabei vermehrt ausgeschüttete Immunglobulin heilt die Wunde und lässt zugleich die lokale Entzündung abklingen. Die von ihr verursachten chronischen Schmerzen werden durch die gezielte Schmerzprovokation gelindert. Baunscheidt glaubte, mit seinem Reizverfahren den Körper zur Ausscheidung von krankmachenden Stoffen anregen zu können. Diese Wirkung lässt sich jedoch nicht nachweisen. Ob es die Funktion innerer Organe verbessern und den Hormonhaushalt regulieren kann, ist ungeklärt. Dass leicht schmerzende Reizungen durch Nadeln (Akupunktur!) die Freisetzung von schmerzhemmenden Stoffen und Glückshormonen fördern und dadurch eine Schmerzlinderung herbeiführen, gilt jedoch als gesichert. Der Heilpraktiker wendet Lebenswecker und Nadelwalze fast ausschliesslich rechts und links der Wirbelsäule an. Das im Anschluss durchgeführte Einreiben der angeritzten Hautpartien mit einem hautreizenden Öl (Pustulanzium) soll eine ähnliche Reaktion hervorrufen wie seinerzeit das Mückengift. Kurze Zeit nach der Behandlung entwickeln sich dort Pusteln und Bläschen, die beim Abheilen keine Narben zurücklassen. Manche Patienten haben leichtes Fieber. Die Baunscheidtbehandlung wird schwerpunktmässig bei vegetativen und psychosomatischen Störungen, Schwächezuständen, geschwächtem Immunsystem und Problemen mit dem Stütz- und Bewegungsapparat eingesetzt.